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Simonshof, 20.11.2019. Einen Imbisswagen hat mancher Bewohner des Simonshofs wohl lange nur von hinten gesehen. Die Caritas holt sie nach vorne – auf eine Portion Pommes und ein Gespräch über das Leben.
Der Geruch von heißem Frittierfett am Morgen dürfte für die meisten Menschen ungewohnt sein. Im Besonderen gilt das für die Bewohner des Simonshofs in Bastheim im Landkreis Rhön-Grabfeld. Gelten Pommes Frites ernährungsbewussten Mitbürgern heute vielleicht als kulinarische Sünde, sind sie für Manchen hier ein kleiner Luxus. Viele der Menschen vom Simonshof haben Jahre oder Jahrzehnte in existenzieller Armut gelebt, oft auf der Straße und mit zu viel Alkohol. Hier in der Rhön bietet ihnen die Caritas einen Heimathof an – und an diesem 20. November auch eine Portion Pommes aufs Haus.


Rund um das 100. Gründungsjubiläum des Caritasverbands für die Diözese Würzburg touren Mitarbeiter mit einem Imbisswagen quer durch Unterfranken. Heute werden sie an der Fritteuse unterstützt von Michael Bauch, einem ehrenamtlichen Mitarbeiter des Kreuzbundes, der Menschen mit Suchtproblemen Hilfe anbietet. Die Idee der Caritas-Pommesbude ist einfach: Hier begegnen sich die Menschen auf Augenhöhe und kommen einfacher ins Gespräch; etwa über das reale Problem, dass viele Menschen in Deutschland sich selbst die kleine Tüte Pommes nicht leisten können.
Bischof Friedhelm kommt als Brückenbauer
Dieses Problem stellt sich an diesem Mittwochvormittag auf dem Simonshof nicht, schließlich ist der Imbiss ein Geschenk der Caritas. Das nehmen nicht nur viele Bewohner des Hofs dankbar an, sondern auch einige Gäste. Unter ihnen ist heute Bischof Friedhelm Hofmann, der frühere Würzburger Diözesanbischof. Er war bereits in seiner Amtszeit mehrfach am Simonshof und man merkt ihm an, dass seine Sympathien für diese besondere Einrichtung weit über den Rücktritt hinaus bestehen. Noch kurz vor seinem Ruhestand hatte er an der Zufahrt zum Gehöft eine neue Brücke gesegnet und auch heute baut er weiter an den Brücken zu den Menschen, die hier leben.
Hofmann genießt seine Pommes Frites mit ein wenig Ketchup. „Ich habe Pommes lange nicht mehr so gut gegessen“, lobt der Rheinländer. Sein Gesprächspartner greift direkt zum Superlativ: „Das waren die besten Pommes meines Lebens!“ Die Frittierkünste der Caritasmitarbeiter scheinen auch bei den übrigen Gästen gut anzukommen. Bis zum Mittag sind 22 Kilogramm Pommes frittiert, verteilt, verzehrt.
Die Pommesaktion am Morgen soll allerdings nicht nur satt machen und unterhalten. Sie ist eine Einladung, an der anschließenden Gesprächsrunde anlässlich des Welttags der Armen, den Papst Franziskus vor wenigen Jahren eingeführt hat, teilzunehmen. Materielle Armut kennen die Bewohner des Simonshofs oftmals zur Genüge. Beim Gespräch im früheren Rinderstall wird aber vor allem deutlich, welcher menschliche Reichtum unter den 190 Menschen hier besteht. Landrat Thomas Habermann, der an diesem Tag zu den Gästen zählt, drückt es treffend aus. Er sehe mittlerweile viele, die „arm im Herzen“ seien. „Da ist mancher hier viel reicher, als die empathielosen Menschen in unserer Gesellschaft.“
Mit einfühlsamen Fragen bringt der Journalist Michael Nöth das zum Vorschein. Aus den Berichten der Bewohner klingt dabei keine Bitterkeit angesichts der erlebten Armut. Vielmehr offenbaren sich reiche Lebensgeschichten und vor allem Dankbarkeit für die helfende Hand, die den Menschen hier aus existenziellen Nöten geholfen hat.
Neue Heimat nach dem tiefen Fall
Da ist etwa Herr Freund, der Lebenskrisen durchgemacht hat, es dann doch noch einmal bis zum Abteilungsleiter bei einem Automobilzulieferer geschafft hat. Dann fiel sein Arbeitsplatz einem Modellwechsel beim Hersteller zum Opfer, Freund fiel noch tiefer als zuvor. Nach Jahren in einer Notfalleinrichtung für Wohnungslose kam er schließlich zum Simonshof. „Damals hat es mir hier direkt gefallen“, erinnert er sich. Journalist Nöth hakt nach: „Nur damals?“ „Nein, mir gefällt es immer noch!“, insistiert Freund und sorgt für Gelächter im alten Rinderstall vom Simonshof.
Die Männer, die hier berichten, gehen mit ihren dramatischen Lebensgeschichten bemerkenswert offenherzig um. Man hört, dass dazu sicher auch die Zufriedenheit beiträgt, hier einen Ort gefunden zu haben, an dem die Ausgrenzung ein Ende hat und die Geschichte mit neuen Perspektiven weitergehen kann. Für nicht wenige wird der Heimathof sogar zur letzten Station ihres Weges. Denn hier bietet die Caritas nicht nur Obdach und Arbeit, sondern nötigenfalls auch einen Platz im Camillus-Haus, dem hofeigenen Pflegeheim. Unter den gut 90 dort wohnenden Menschen sind allerdings nicht nur frühere Wohnsitzlose, sondern auch zahlreiche Einheimische aus der Umgebung. Damit ist der Hof auch für die ländliche Gegend um Bastheim eine wertvolle Einrichtung.
Die politischen Verantwortlichen bringen ihre Wertschätzung für den vom Diözesan-Caritasverband betriebenen Simonshof an diesem Tag auch mit Gesten zum Ausdruck: Klaus Spitzl, Vertreter des benachbarten Markts Oberelsbach, verspricht den Bewohnern eine Fahrt zur Erkundung der Rhön, während Habermann ankündigt, das Bauamt seines Landratsamts Rhön-Grabfeld werde kostenfrei Beratung und Planung für die Neuanlage des Weges zum Friedhof des Hofs übernehmen.
Leben und Arbeit gehören zusammen
Zu diesem hat Herr Schlereth eine besondere Beziehung, der ohnehin eine der längsten Geschichten mit seinem Heimathof aufzuweisen hat. „Ich habe am Simonshof 1950 meine Lehre angefangen“, sagt der Schreiner. Erst viel später sei er zurück in seine Heimat gekommen, wie er heute sagt. Da war seine Ehe bereits in die Brüche und er durch „eine ganz harte Zeit“ gegangen. Nachdem er dann auf den Simonshof gekommen war, hat er sich lange Jahre verdient gemacht, indem er die Namen der Toten in die Grabkreuze geschnitzt hat. Sein Handwerk hat er schließlich nicht verlernt.
Gearbeitet wird hier auch ansonsten viel. Gut 160 Arbeitsplätze bietet der Simonshof. Nach Imbiss, Gesprächsrunde und Mittagessen macht sich Bischof Friedhelm gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Diözesan-Caritasverbands, Clemens Bieber, auf den Weg, einige der Arbeitsplätze zu besuchen. In einer Reihe von Werkstätten verdienen sich die Bewohner einige Euro dazu, indem sie Playmobil-Fahrzeuge vormontieren oder Wäscheklammern und andere Utensilien sortieren. Andere erklären dem interessierten Theologen, wie Fahrradklingeln montiert oder Spezialkartons für den Transport von Kleintieren zusammengesetzt werden. Es sind einfache Tätigkeiten, die aber ein hohes Maß an Sorgfalt und Zuverlässigkeit abverlangen. Qualitäten, die auch auf dem regulären Arbeitsmarkt notwendig sind. Für Manchen kann die Arbeit hier als Vorbereitung in eine neue Selbstständigkeit dienen.
Pflege braucht irgendwann fast jeder Mensch – egal aus welchem Umfeld
Einen Kontrast zur Geschäftigkeit bietet die Atmosphäre im Camillus-Haus dar, gerade jetzt, kurz nach der Mittagsruhe. Bischof Friedhelm besucht die, die nicht zur Pommesbude kommen konnten, unter ihnen die Frauen des Simonshofs; in der Wohnsitzlosenhilfe sind ausschließlich Männer untergebracht. Den Damen scheint es der Bischof dann auch besonders angetan zu haben. Auf den unterschiedlichen Stationen verwickeln sie ihn immer wieder in Gespräche, oft geht es um die persönliche Geschichte mit der Kirche oder den morgendlichen Gottesdienst. Bischof Friedhelm hört zu, lacht, plaudert. Er braucht die Pommesbude nicht, um auf Augenhöhe zu kommen. Während der Bischof im Ruhestand sich zu einem bettlägerigen Bewohner hinabbeugt, um auch ihn zu begrüßen, erklärt sein Fahrer vor der geöffneten Zimmertür die Szene treffend: „Er ist eben immer Priester geblieben.“
Und auch wenn der Hohe Besuch auf dem Simonshof die Ausnahme ist, zeigt sich am Ende des Besuchs doch: hier wird Menschen geholfen, Mensch zu bleiben. Das heißt, Menschen zu pflegen, egal ob sie aus dem Nachbarort kommen oder aus einem Wohnsitzlosenheim irgendwo in Deutschland. Das heißt, Menschen eine Arbeit zu geben, auch wenn sie vielleicht nie in ihrem Leben nach den Gesetzen des Marktes von ihrer Hände Arbeit leben konnten. Und an diesem Tag heißt das auch, Menschen auf eine Portion Pommes einzuladen und nach ihrer Geschichte zu fragen.
©Kilian Martin

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