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Plädoyer gegen Frust und "Pflexit": Christopher Thomas hat bei der Sozialstation in Mellrichstadt seine berufliche Erfüllung gefunden. Was ihm an der Pflege gefällt.

9662079 fancybox 1yE6ey jc7QmPVor eineinhalb Jahren berichteten wir über Christopher Thomas. Er wurde in den USA in Kalifornien geboren und kam vor fast 30 Jahren über die US-Army nach Deutschland. Mit 46 Jahren begann er als Quereinsteiger eine Ausbildung zum Altenpfleger. Diesen Beruf lernte er im Rahmen eines Praktikums bei der Caritas-Sozialstation in Mellrichstadt kennen und war von ihm begeistert.

Wie geht es ihm heute? Ist er immer noch der Meinung, in der Pflege seine berufliche Erfüllung gefunden zu haben? Wie sieht er generell die aktuelle Situation der Urenkel von Florence Nightingale, der großen, alten Dame der modernen Pflege?
Christopher Thomas steht mittlerweile kurz von seinem Ausbildungsabschluss. Den praktischen Teil der Prüfung hat er bereits absolviert - mit der Note 1. Jetzt bereitet er sich auf die schriftlichen und mündlichen Tests vor. "Chris überzeugt mit seinem breiten fachlichen Wissen und ist bei seinen Patientinnen und Patienten äußerst beliebt", zeigt sich seine Chefin Ulli Feder, Pflegedienstleiterin der Sozialstation, von der Note 1 überhaupt nicht erstaunt. 

"Sie mögen meinen amerikanischen Akzent", reagiert Thomas augenzwinkernd auf das Lob. Was wiederum seine Vorgesetzte zu dem Kommentar veranlasst: "Chris ist immer locker und gut gelaunt." Man sehe ihm an, dass er Freude an seiner Arbeit hat. "Er ist mit Haut und Haaren Pfleger und lässt sich voll auf seine Patienten ein."

  

Das Leben in schwerer Zeit einfacher machen

"Ich wollte immer einen sozialen Beruf ergreifen", blickt der Vater zweier Kinder zurück. "Als meine Kinder groß waren, dachte ich mir: Wenn ich das jetzt nicht mache, dann mache ich es nie mehr." Heute, fast drei Jahre später, steht jetzt schon fest: Er bleibt auch nach seiner Ausbildung der Sozialstation St. Kilian in Mellrichstadt erhalten. "Ich bin sehr glücklich hier. Es war die richtige Entscheidung."

Besonders gefällt Christopher Thomas der Kontakt mit anderen Menschen.  Er stellt die Freundlichkeit und Dankbarkeit der Patientinnen und Patienten gegenüber den Pflegekräften heraus. "Wir ermöglichen es, dass diese im vertrauten Umfeld bleiben können. Das geben sie uns wieder zurück." Der Beruf kann manchmal auch belastend sein.
"Wenn jemand stirbt, trifft mich das auch. Dann kann es schon mal vorkommen, dass ich zusammen mit den Angehörigen weine." Tröstlich sei jedoch, dass der Mensch zu Hause habe sterben können. "Es gibt ein gutes Gefühl, das Leben in einer schweren Zeit ein bisschen einfacher gemacht zu haben." 

Einen Punkt bedauert Thomas. "Es ist schade, dass die Pflege generell so wenig gewürdigt wird." Man höre immer nur die schlechten Nachrichten, meint er dazu. Zu wenig Personal, viel Arbeit, Wochenenddienste - das schrecke viele junge Leute ab, den Beruf zu ergreifen. "Dadurch bekommen sie gar nicht mit, was für ein schöner Beruf die Pflege sein kann."  Und Ulli Feder fügt hinzu: "Die Pflege hat keine große Lobby. Man denkt nicht gerne an Krankheit und Alter."

 

Was hat es mit dem "geteilten Dienst" auf sich?

Als Thomas bei der Sozialstation anfing zu arbeiten, gab es noch den sogenannten geteilten Dienst. In Pflegeeinrichtungen ist es häufig der Fall, dass nicht an einem Stück gearbeitet wird, sondern morgens und dann erst wieder am Abend. Auch wenn ihm das wenig ausgemacht habe, sei das natürlich für viele Kolleginnen und Kollegen nicht attraktiv.

Ende letzten Jahres fand bei der Rhön-Grabfelder Caritas eine Umstellung statt, sodass der geteilte Dienst nun der Vergangenheit angehört. "Wenn wir junge Leute haben wollen, müssen wir etwas verändern", will Ulli Feder dem viel diskutierten "Pflexit" entgegenwirken. 

Oft sind Pflegeeinrichtungen dem Vorwurf ausgesetzt, dass vor lauter Bürokratie keine Zeit mehr für den Menschen bleibt. Stimmt das? "Die Politik verspricht es schon seit Jahren. Aber die Bürokratie wird nicht weniger", sagt dazu die Pflegedienstleiterin. Die Digitalisierung habe zwar die ein oder andere Erleichterung gebracht.

Der bürokratische Aufwand, insbesondere für schriftliche Leistungs-Dokumentationen, sei aber nach wie vor groß. "Wir versuchen, das nicht auf die Patienten zu übertragen." Ein Problem sei die Politik mittlerweile angegangen: das sehr unterschiedliche Lohnniveau in der Pflege. Hier werden nun Angleichungen vorgenommen.
 

Das erste deutsche Wort des Ukrainers war "Danke"

"Mein Arbeitsalltag besteht nicht nur aus Körperpflege", legt Christopher Thomas ein weiteres gutes Wort für seinen Beruf ein. Jeder Tag sei anders. "Von der Verabreichung der Medikamente bis zum Reparieren einer Brotschneidemaschine." Er und Ulli Feder erinnern sich an einen Senior, der aus der Ukraine geflüchtet ist und hier bei einer Verwandten unterkam.

Um die Sprachbarriere zu überwinden, erstellte der 47-Jährige abends zu Hause eine Liste mit den täglichen Verrichtungen: Waschen, Rasieren, Fingernägel schneiden und so weiter. Diese übersetzte er mithilfe des Computers ins Ukrainische, inklusive der kyrillischen Buchstaben. So konnte der Mann einfach nur auf die Wörter zeigen und der Pfleger wusste, was gewünscht war. "Das erste deutsche Wort, das der Ukrainer lernte, war Danke", ist Thomas heute noch gerührt. "Man muss ideenreich sein." 
Mit welchen Gefühlen blickt Christopher Thomas auf die Zeit nach den Prüfungen? "Kurz nach den Prüfungen habe ich vielleicht noch ein wenig Schonfrist, aber dann brauche ich wieder neue Herausforderungen, damit es nicht langweilig wird." Wenn man mit 46 in einem fremden Land und in einer fremden Sprache eine Ausbildung beginnt, dann sei einem schließlich keine Herausforderung zu groß.
 
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